“K-Beauty” und die Rolle des Westens

Runde Augen, eine schmale Gesichtsform und eine weiße Haut gelten schon fast als Standardanforderungen. Wohl nirgendwo sonst auf der Welt sind die Ansprüche an die persönliche Schönheit so hoch wie in Südkorea – aber wieso überhaupt?

Seoul, die Hauptstadt Südkoreas, gilt gleichzeitig auch als die Welthauptstadt der plastischen Chirurgie und bietet daneben auch einen riesigen Markt für Kosmetikprodukte, Gesichtsmasken und mehr. Das 50-Millionen-Volk ist dementsprechend ständig hohen Ansprüchen und häufig auch Konkurrenzdenken ausgesetzt. Auf der Halbinsel werden nicht selten westliche Models oder asiatische Models mit auffällig westlichen Merkmalen gezeigt, die häufig aggressiv und in aller Öffentlichkeit für Schönheitseingriffe werben.

In der Vergangenheit versuchten bereits verschiedenste Forscher dem südkoreanischen Schönheitsphänomen auf den Grund zu gehen. An Theorien mangelt es also nicht. Die meisten von diesen Theorien konnten jedoch mindestens teilweise widerlegt werden.

So etwa die Theorie diverser koreanischer Sozialwissenschaftler, die auf die Forschung von Michel Foucault, Pierre Bourdieu und Chris Schilling aufbaut. Diese vermuten den Ursprung des koreanischen Bestrebens nach Schönheit in den Medien, die die Definitionsmacht von Schönheit besäßen und Schönheitsnormen vermitteln würden. Diese Theorie erklärt allerdings nicht, wieso ausgerechnet in Südkorea derart viel mehr Schönheitseingriffe unternommen werden als in anderen Industrieländern, in denen vergleichbare Werbung gezeigt wird.

Der Kulturwissenschaftler Hong Seong-min verfolgt eine andere Theorie. Er führt die aktuelle Situation auf den Konfuzianismus und dessen anhaltenden Einfluss zurück. Ein nicht unwichtiger Aspekt der konfuzianischen Kultur ist nämlich, dass die eigene Existenz durch die perzipierte Wahrnehmung Dritter bestimmt würde. Ein gepflegtes Äußeres sei daher nach konfuzianischer Lehre unverzichtbar. Doch auch diese Theorie ist angreifbar. So missachtet Hong etwa einen anderen zentralen Aspekt des Konfuzianismus, der ganz eindeutig besagt, dass der Körper, der einem von den Eltern geschenkt wurde, in keiner Weise beschädigt werden darf. Andernfalls sei dies ein Akt der Verletzung der kindlichen Pietät.

Doch es gibt auch standfestere Theorien. Der erste große Anstieg an Schönheitseingriffen in Südkorea wurde im Jahre 1995 verzeichnet. Im selben Jahr wuchs das durchschnittliche Prokopfeinkommen der Koreaner auf 10.000 USD an. Doch nur zwei Jahre später erfasste die Asienkrise das Land. Die wirtschaftlichen Strukturen und die Situation am Arbeitsmarkt veränderten sich zum Schlechten und animierten die Bevölkerung zu einer gesellschaftlichen Selektion untereinander, bei der patriarchal geprägte Schönheitsnormen eine große Rolle spielten. Die Einhaltung der Schönheitsnormen sollten die Überlegenheit der Wohlhabenden über die weniger Wohlhabenden demonstrieren und kristallisierte sich mit der Zeit als gesellschaftliches Unterscheidungskriterium heraus.

Es lässt sich also feststellen, dass es viele unterschiedliche Theorien zu diesem Thema gab und auch heute immer noch gibt. In Anbetracht der Art der Schönheitsgriffe und wofür geworben wird, ist es dann doch auffällig, dass die Verwestlichungstheorie weitgehend undiskutiert bleibt. Dabei deutet doch einiges darauf hin – oder?

Die Entwicklung der koreanischen Schönheitsindustrie

Schönheit hat sich in Südkorea zu einer wichtigen gesellschaftlichen Norm entwickelt und die kosmetische Chirurgie ist heute ein wichtiger Industriezweig der koreanischen Volkswirtschaft. Im Jahre 2011 kamen auf nur 1.000 Einwohner rund 14 plastische Operationen. Das ist Weltrekord. 4,5 Milliarden US-Dollar setzte man dortzulande im selben Jahr allein mit diesen Eingriffen um. Dies entspricht ungefähr einem Viertel des gesamten Weltumsatzes der Branche.

Insbesondere im Distrikt Gangnam stößt man immer häufiger auf Schönheitskliniken und deren Werbung. Diese Art von Kliniken haben sich in den letzten drei Jahrzehnten derart vervielfacht, dass auch die koreanische Volkswirtschaft spürbar von diesem Industriezweig profitiert. Wohl deshalb macht die Politik den Ärzten ihre Arbeit besonders leicht, indem verschiedene Regulierungen für die Branche sehr vage ausfallen. Während es zur Jahrtausendwende weniger als 5000 klinische Einrichtungen in Seoul gab, waren es fünf Jahre später schon 6500. Ein Anstieg von etwa 30%. Die meisten neuen Kliniken entstanden im Hotspot der Schönheitseingriffe, in Gangnam. Mehr als 900 neue klinische Einrichtungen errichtete man allein hier, was darauf schließen lässt, dass viele von diesen Kliniken Schönheitseingriffe anbieten. Besonders beliebt ist die Behandlung für eine doppelte Lidfalte, die einigen Koreanerinnen fehlt. Mit diesem Eingriff werden die Augen größer und runder gemacht.

Ärzte für plastische Chirurgie verdienen besser als alle anderen Ärzte in Südkorea. Ihr Nettojahreseinkommen betrug in den Jahren 2010 und 2011 umgerechnet etwa 80.000 Euro. Das Land besitzt zudem die höchste Dichte an Einrichtungen, die derartige Eingriffe durchführen, weltweit. Auf einen Schönheitschirurgen kommen in Südkorea gerade einmal 3.800 Einwohner.

Doch nicht nur operative Schönheitseingriffe spielen eine große Rolle in Südkorea. So behandelten etwa 30% der Koreanerinnen im Jahre 2006 ihre Haut mit kosmetischem Aufheller, um eine möglichst weiße Haut zu erlangen. Ganze 52% der Koreanerinnen hätten zu dieser Zeit kosmetischen Aufheller benutzt, wenn Geld keine Rolle gespielt hätte. Der koreanische Kosmetikmarkt wächst jährlich um rund 10%.

Dass sich das Geschäft mit Schönheitseingriffen lohnt, verwundert nicht, wenn man verschiedene Umfragen betrachtet. So glaubten in einer Umfrage mehr als 75% der Südkoreanerinnen, dass die äußere Erscheinung eine wichtige Rolle im Arbeits- und Berufsleben spielt und dass ein gutes Aussehen erfolgsversprechend sei. Ein Zeichen von Eitelkeit sei diese Einstellung jedoch nicht. Dementsprechend glaubten auch 80% der befragten Frauen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren, dass sie sich einer Schönheitsoperation unterziehen sollten. 50% der Befragten gaben sogar an, sich bereits einer Schönheitsoperation unterzogen zu haben. Dies entspricht zwar nicht den offiziellen Zahlen und Statistiken, gilt aber trotzdem als eine wahrscheinliche Quote, da derartige Eingriffe überdurchschnittlich häufig bar bezahlt werden, was eine korrekte Dokumentation der Eingriffe verfälschen kann.

Kritik an der Verwestlichungstheorie

Viele Schönheitseingriffe (beispielsweise eine weißere Haut oder die doppelte Lidfalte) legen einen Wunsch der südkoreanischen Bevölkerung nach Verwestlichung erst einmal sehr nahe. Dem gegenüberstehend, liegt weiße Haut allerdings schon seit den 1860er Jahren, noch vor der Meiji-Periode, in Ostasien im Trend. Vor allem im benachbarten Japan benutzten neben Frauen auch Männer eine Zeit lang traditionell weißes Make-up als Ausdruck von Sanftheit, nicht etwa als Ausdruck von Westlichkeit. Dies folgte erst später und auch vordergründig in Form von Kleidungsstilen. Japan hat in der Geschichte Koreas erheblichen Einfluss auf das Land ausüben können und dient sogar heute noch in vielerlei Hinsicht als Orientierung – auch für Kulturelles.

Eine doppelte Lidfalte ist außerdem nicht automatisch als westliches Merkmal zu verstehen. Ein bedeutend großer Teil der Koreanerinnen und Koreaner besitzt selbst eine angeborene doppelte Lidfalte. Zudem unterziehen sich auch viele Menschen im Westen einer blepharoplastischen Operation, um Deformitäten ihrer Augenlider zu korrigieren. Dies hat sowohl im Westen als auch im Osten oft praktische Gründe. Eine Erweiterung des Sehfelds kann etwa im Sport hilfreich sein.

Anstatt explizit eine Verwestlichung zu wünschen, definieren viele Koreanerinnen Schönheitseingriffe heute als Ausdruck von Luxus und erhoffen sich auf diesem Wege u.a. bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, wie auch die Umfragen belegen. Diese Erkenntnis hängt eng mit der letzten Theorie aus dem Forschungsstand zusammen. Während der Asienkrise verschlechterte sich insbesondere für Frauen die Situation am Arbeitsmarkt, was den Drang nach Schönheit nachweislich verstärkte. Schönheit wurde von vielen Frauen als eine Qualität interpretiert.

Es gibt jedoch auch Erkenntnisse, die die Verwestlichungstheorie untermauern. Diese Erkenntnisse betreffen zwar ethnische Koreaner, allerdings nur jene, die ihren Lebensmittelpunkt in den Vereinigten Staaten haben. In der amerikanischen, weißen Mehrheitsgesellschaft werden Asiaten durch vermeintlich negative Eigenschaften, wie einer kleinen Körpergröße oder einem flachen Gesicht, stereotypisiert. Dort bieten koreanische Eltern ihren Kindern teilweise aktiv an, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen, um amerikanischer auszusehen. Außerhalb der Vereinigten Staaten wird dieses Phänomen, mit dieser Begründung einhergehend, nicht beobachtet.

In Südkorea selbst findet dieser Wunsch nach einer optischen Verwestlichung also wenig Anschluss. Einige Forschungen legen sogar das Gegenteil der Verwestlichungstheorie nahe. Die koreanische Schönheitsindustrie (u.a.) sei ein Gegenangebot, eine asiatische Alternative, zur dominanten westlichen Kultur, die sich hegemonial über den ganzen Globus hinweg erstreckt. K-Beauty sei ein koreanischer Kulturexport und Teil der Koreanischen Welle, auch Hallyu genannt, auf die man in Südkorea sehr stolz ist und die neben K-Beauty auch K-Pop und K-Dramas erfolgreich „exportiert“ hat.

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