Akte Irak. oder: Warum es nicht ums Öl geht.

Ein trauriges Jubiläum: Im März diesen Jahres jährt sich die Invasion des Irak zum 16. Mal. Zeit, mit ein paar Narrativen aufzuräumen.

Bei der Betrachtung der damaligen Situation verdrängen heute viele, wie grausam Saddam Hussein sein Land regierte. Abgesehen davon, dass er vier mal souveräne Staaten in der Region angriff, setzte er beim Aufstand der Kurden Giftgas gegen die eigene Bevölkerung ein, ermordete zu zehntausenden Schiiten und ließ unter Aufsicht seiner Söhne in den Gefängnissen foltern. Diese Taten für sich sind schon grausam genug, doch sie befeuern ein noch viel größeres Problem: die Vergehen an Minderheiten, die bereits einmal gezeigt hatten, dass sie zu einem Aufstand bereit sind, machten den Irak zu einem gewaltigen Pulverfass. Bei einer neuerlichen Eskalation auch nur eines der zahlreichen ethnischen und religiösen Konflikte hätte der Irak in eine Gewaltspirale abdriften können, die wohl sämtliche Konflikte im Nahen Osten in den Schatten gestellt hätte. Neben Husseins Grausamkeit spielten mögliche Massenvernichtungswaffen in der Rechtfertigung der Invasion der Öffentlichkeit gegenüber eine große Rolle. Dass – abgesehen von alten Restbeständen – nie welche gefunden wurden ist unbestritten, unklar ist nur, wer von ihrer Abwesenheit wusste oder auch nicht.

Welche Rolle spielte das schwarze Gold?

Tatsächlich spielten im Irakkrieg viele Faktoren eine Rolle und viele eben nicht. Die tatsächlichen Hintergründe sind, wie in Konflikten des Nahen Ostens üblich, verworren. Es ist vor allem wichtig nachzuvollziehen, wessen strategische Interessen sich wie wann und wo überschneiden um den Ursprung internationaler Konflikte zu verstehen. Also: warum gerade der Irak? Wie sind die Hintergründe? Und welche Rolle spielt das schwarze Gold?

Eines der großen politischen Narrative unserer Zeit impliziert, dass es vor allem den USA und seinen westlichen Verbündeten in ihren Militärinterventionen um die Sicherung von Ressourcen gehe, insbesondere um das Öl. Diese Ansicht ignoriert komplexe geopolitische Sachverhalte vollständig und ergibt rational betrachtet in unserer modernen, vernetzten Welt objektiv keinen Sinn. Öl, egal wo auf unserem Planeten es auch aus dem Boden geholt wird, passiert immer den Weltmarkt. Wer mit seinem Öl Geld machen möchte, muss es dem Weltmarkt zugänglich machen; wer das nicht tut, verschwendet Wirtschaftspotenzial und bleibt auf seinen Ressourcen sitzen.

Warum Staaten keine Ressourcenkriege führen

Von eroberten Ressourcen zu profitieren ist, besonders in unserer eng vernetzten Welt, extrem schwierig. Das erhoffte wirtschaftliche Potenzial muss vor allem gegen vier Kostenhürden aufgewogen werden: Invasionskosten, also der Schaden, der im Zuge der Invasion an der betreffenden Infrastruktur entsteht, internationale Kosten – die Reaktion der internationale Gemeinschaft auf die Militäraktion könnte negativ ausfallen, ökonomische Sanktionen oder schlimmeres wären vorstellbar. Dazu kommen Investitionskosten, also die Hürden, Investitionskapital und technische Expertise auf die besetzten Ölfelder zu holen, und Okkupationskosten; Widerstand gegen die Besatzung ist wahrscheinlich, neben militärischen Zielen gerät in solchen Situationen auch gerne industrielle Infrastruktur ins Visier.

In diesen vier Kategorien sind massive Aufwände wie die für einen Krieg benötigte Mannstärke mit eventuellen Verlusten oder Folgeschäden, logistischer Aufwand und dessen Kosten oder die reinen Materialkosten eines Krieges noch nicht mit einberechnet; es lohnt sich also rein rational für einen Staat heutzutage überhaupt nicht, Ölkriege zu führen. Laut „The Balance“ fügte der Irakkrieg der US-amerikanischen Staatsverschuldung 1,06 Billionen US-Dollar hinzu, die Brown University kommt in ihren Berechnungen sogar auf 1,1 Billionen.

Wer behauptet, die USA und Großbritannien wären mit rein wirtschaftlichen Interessen, also wegen der reichen Ölvorkommen des Irak in den Krieg gezogen, der geht einem Trugschluss auf den Leim. Öl war ein strategischer Faktor, da vom Besitz der Ressourcen das wirtschaftliche und militärische Überleben Husseins abhing und Öl war ein Faktor in der Platzierung ökonomischer Interessen in einem Post-invasionären Irak. Öl spielte jedoch keine Rolle bei der Entscheidungfindung, die Invasion durchzuführen. Hier entschieden eindeutig die geostrategischen sowie außen- und sicherheitspolitischen Überlegungen, die gegen den wirtschaftlichen Schaden abgewogen werden müssen.

Die Wurzel des Nahostkonflikts

Der internationale Konflikt, der den Nahen Osten maßgeblich prägt ist der andauernde Kalte Krieg zwischen dem Saudi-Arabischen Königreich und dem Iran. Vordergründig geht es bei ihrer Auseinandersetzung vor allem um die Straße von Hormuz, einer der wichtigsten Handelsstraßen überhaupt. Jedoch konkurrieren auch beide um die Vertretungshoheit des Islam auf der weltpolitischen Bühne; der Iran als eine aus der Revolution geborene Theokratie und Saudi-Arabien als Heimat der bedeutendsten Stätten des Islam, Mekka und Medina. Während letztere Nation als Macht des Status quo vor allem bestehende Regierungen, besonders sunnitische, stützt, unterstützt der Iran vor allem subversive und revolutionäre Kräfte, insbesondere wenn diese schiitisch sind. Diese Ausgangssituation hat dazu geführt, dass sich die beiden Kontrahenten momentan in zahlreichen Stellvertreterkriegen gegenüber stehen.

Der einzige Puffer, der einen direkten militärischen Konflikt zwischen ihnen verhinderte, war der Irak. Im Zuge des Iran-Irak Krieges und seiner Folgejahre wurde dieser von den Saudis als Bollwerk gegen den Iran aufgebaut; dass dort ein sunnitischer Diktator an der Macht war kam ihnen natürlich gerade gelegen. Dadurch allerdings, dass im Irak die Mehrheit der Bevölkerung schiitisch war und ist und die Schiiten dort bereits einmal aufständisch geworden waren, bestand permanent das Risiko, dass der Iran versuchen könnte, diese Situation auszunutzen; besonders Husseins Brutalität gegenüber den Schiiten machte dieses Szenario immer wahrscheinlicher.

Indem man dort eine neue Regierung, vorzugsweise nach westlichem Vorbild, aufstellte, hoffte man, die brodelnden ethnischen und religiösen Konflikte zu entschärfen und so die Sicherheitslage in der Region zu stabilisieren. Eine westlich geprägte, muslimische Demokratie im Irak würde außerdem den Druck auf autoritäre Staaten im Nahen Osten erhöhen, Reformen zuzulassen, sodass es für sie schwieriger werden würde, erneute militärische Konflikte anzuzetteln oder Terrororganisationen wie Al-Quaida zu beherbergen, abzuschirmen und zu finanzieren.

In besonders dieser Hinsicht war gerade Hussein zu einem für die USA untragbaren Risiko geworden; es bestand die Möglichkeit, dass er immer noch Massenvernichtungswaffen besaß und er hatte die Möglichkeit, über den Ressourcenreichtum seines Landes den internationalen Terror zu finanzieren. Zahlreiche Amerikaner hätten ihn wohl gerne bereits im Golfkrieg 1991 gestürzt; in Folge der Terroranschläge 2001 war den amerikanischen Strategen dann klar geworden, dass man derartig massive Risiken nicht weiter tolerieren konnte. Unabhängig davon, ob der Irak an den Anschlägen tatsächlich beteiligt war, ging von ihm permanent eine potenzielle Bedrohung aus, was wohl den entscheidenden Anstoß in Richtung Invasion gab.

Was lernen wir daraus?

Die Motive sind zweifelsohne nicht unbedingt ritterlich, aber es geht hier auch nicht um ihre moralische Beurteilung. Wie dieser Konflikt oder Krieg generell in dieser Hinsicht einzuordnen ist, ist jedem selbst überlassen; Wie in so vielen Bereichen kann es jedoch nicht schaden, sich zunächst mit den Hintergründen auseinanderzusetzen. Indem wir lernen zu hinterfragen und zu verstehen können wir alle dazu beitragen, Kriegen langfristig vorzubeugen um sie zukünftig bestmöglich abzuwenden. Wenn wir nicht verstehen, worum es geht, können wir es auch nicht aufhalten.

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